Gäubote Artikel vom 24.02.2016

Verlassene Behausungen erzählen Geschichten - Tatjana Coralie Klytta aus Tübingen zeigt fotografische Werke in der Linde

Affstätt:
Tatjana Coralie Klytta aus Tübingen zeigt fotografische Werke in der Linde

Fotografiert mit einer Pocket-Kamera: Tatjana Coralie Klytta in der Linde


Sie erzählen von besseren Zeiten, die fotografischen Werke von Tatjana Coralie Klytta aus Tübingen. Sie sind zu betrachten in einer Aus-stellung in der Affstätter Linde.

 

Das alte, schräg ans Ufer gelehnte Boot hat schon viele Menschen übers Wasser getragen, die Stiege im alten Haus wurde unzählige Male bestiegen, die Schaukeln trugen so manches Kind himmelwärts. Hier wirken diese Orte einsam, verlassen, doch sind sie das wirklich? 
Kein Mensch ist zu sehen, dafür die Spuren des menschlichen Alltags, verwitterte Treppenaufgänge, schräg hängende Fensterläden, bröckelnder Putz, eine eruntergebrochene Vorhangstange. 
Einige Bilder entführen an die Gestade der Ostsee: Man blickt durch eine Baumgruppe, die schräg über einen Steilhang ragt, aufs Meer. Man gerät vor einem leeren Strand ins Sinnen, prägt sich unbewusst die Nummerierung der Strandkörbe ein, fragt sich, ist da vielleicht doch jemand drin, denn sie sind von hinten abgelichtet. Zwei Schaukeln hängen am Rand einer Sand-fläche, auch sie sind leer, kein Kind weit und breit. "Love me" sagt ein Graffito auf einer Mauerfassade an einer Gracht in Amsterdam, niemand antwortet. So hat man unversehens eine Reise angetreten, eine Reise, für die es keiner Buchung im Reisebüro bedarf. Die Bilder regen ja gerade nicht dazu an, sich auf den Weg zu machen dorthin, sondern vielmehr, hier vor ihnen zu verweilen und den Geschichten zu lauschen, die sie erzählen. Spuren des Gewesenen. Denn das geschieht bei jedem Bild aufs Neue: Man nimmt einen Ort wahr, der die Spuren des Gewesenen trägt, der noch pulsiert von den Geschichten, die sich hier entsponnen haben. Die Schaukeln am Strand scheinen sich noch leicht im Wind zu bewegen, von der Stiege des alten Hauses in Breslau hallt noch ein leises Knarzen nach, man hört noch die Haustür ins Schloss fallen.  Den Ordonnanzraum im verlassenen Klinikgebäude hat gerade der Patient verlassen, der Vorhang weht noch im Windzug seines Weggangs. Die Bilder sind wie eine kurze Rast im endlosen Treiben der Zeit, und man ahnt auch, es kommen wieder bessere Zeiten: ein wärmender Sonnenstrahl, Ausflügler, Bewohner, sie treffen bald ein, und dann gehen die Geschichten weiter, das ist tröstlich. 
Es ist eine Art Dornröschenschlaf der Dinge, als Betrachter hat man nichts weiter zu tun, als sie wachzuküssen. Es geht karg zu in der Ausstellung, die Formate sind eher klein, meistens sind die Fotografien schwarz-weiß. Doch es gibt auch Farbiges, und da spannt sich der Bogen nach Herrenberg, wo die Tübingerin zur Schule ging und bis vor drei Jahren lebte. Einige Fotos zeigen die Stiftskirche, nicht einfach so, wie sie da oben thront, sondern kräftig koloriert. "Das sind Experimente", erläutert Tatjana Klytta, "dabei verändere ich die Dinge, wie es mir gefällt." Nun erstrahlt sie also in Stahlblau, an anderer Stelle in kräftigem Orange. "Das ist meine Sicht der Dinge", präzisiert die Fotografin. Es ist eine mögliche Sicht, die anregend ist, weit mehr Anregung für die Fantasie bieten jedoch die nicht kolorierten Bilder, in denen man beim Betrachten selbst in einen höchst lebendigen Farbtopf eintaucht. Verblüfft erfährt man dann auch, dass die bunte Farbigkeit eines verlassenen Klinikzimmers im Schwarzwald tatsächlich so vorgefunden wurde: "Hier habe ich nichts bearbeitet", betont Tatjana Klytta. Das Fotografieren hat sie einst in allen Facetten gelernt, das Vergrößern ebenso wie den Umgang mit analoger Kamera, Pocket-Kamera, nun ist die digitale Fotografie hinzugekommen. Und noch ein Hinweis ist überraschend: Die Strandszenen entstanden mit einer einfachen Pocketkamera - die Ausstellung gewährt auch hier Einblick in versunkene Zeiten.

 

Die Ausstellung ist bis zum 13. April 2016 in den Gasträumen der Linde zu sehen.


Gabriele Pfaus-Schiller